ALS DER LIEBE GOTT DIE MUTTER ERSCHUF
Als die liebe Gott die Mutter schuf, machte er bereits den sechsten Tag Überstunden.
Da erschien der Engel und sagte: "Herr, Ihr bastelt aber lange an dieser Figur."
Der liebe Gott sprach: "Hast du die speziellen Wünsche auf der Bestellung gesehen?
- Sie soll vollwaschbar, darf aber nicht aus Plastik sein;
- sie soll 160 bewegliche austauschbare Teile haben;
- sie soll von Essensresten und schwarzem Kaffee leben können;
- sie soll einen Schoß haben, den man nicht mehr sieht, wenn sie aufsteht;
- ihr Kuß soll alles heilen, vom Beinbruch bis zum Liebekummer;
- sie soll sechs Paar Hände haben."
Da schüttelte der Engel verwundert den Kopf und sagte: "Sechs Paar Hände?
Das wird kaum zu machen sein, oder"
"Die Hände machen mir kein Kopfzerbrechen", sagte der liebe Gott. "Aber die drei Paar Augen, die eine Mutter haben muss."
"Gehören die denn zum Standardmodell?", fragte der Engel.
Der liebe Gott nickte.
"Ein Paar, das durch geschlossene Türen blickt, während sie fragt: 'Was macht ihr Gören denn da drin?', obwohl sie es längst weiß.
Ein zweites Paar am Hinterkopf, mit dem sie sieht , was sie nicht sehen soll, aber wissen muß.
Und natürlich noch dieses Paar hier vorn, aus denen sie ein Kind ansehen kann, das sich unmöglich benimmt, und die sagen: 'Ich verstehe dich und habe dich sehr lieb', ohne daß sie ein einziges Wort spricht."
"O Herr", sagte der Engel und zupfte ihn leise am Ärmel. "Geht schlafen.
Macht morgen weiter."
"Ich kann nicht", sprach der liebe Gott, "denn ich bin nahe daran, etwas zu schaffen, dass mir einigermaßen ähnelt. Ich habe bereits geschafft, daß sie sich selber heilt, wenn sie krank ist, daß sie eine sechsköpfige Familie mit einem Pfund Gehacktem satt bekommt und einen Neunjährigen dazu bewegen kann, sich unter die Dusche zu stellen."
Der Engel ging langsam um das Modell der Mutter herum. "Zu weich", seufzte er.
"Aber zäh", sagte der liebe Gott energisch. "Du glaubst gar nicht, was diese Mutter alles leisten und aushalten kann." "Kann sie denken?"
"Nicht nur denken, sondern sogar urteilen und Kompromisse schließen", sagte der Schöpfer.
Schließlich beugte sich der Engel vor und fuhr mit einem Finger über die Wange des Modells.
"Da ist ein Leck", sagte er. "Ich habe Euch ja gesagt, Ihr versucht, zu viel in dieses Modell hineinzupacken."
"Das ist kein Leck", sagte der liebe Gott, "das ist eine Träne."
"Wofür ist die?"
"Die fließt bei Freude, Trauer, Enttäuschung, Schmerz, Verlassenheit und Stolz."
"Ihr seid ein Genie", sagte der Engel.
Da blickte der liebe Gott traurig. "Die Träne", sagte er, "ist nicht von mir."
Bombeck, Erma. Vier Hände und ein Herz voll Liebe (German Edition) . Edel Elements.